Gehen bedeutet per se, sich zu bewegen, Dinge „unterwegs“ hinter sich zu lassen und Neues zu entdecken. „Geh-Wege“ und „Geh-Spräche“ finden zu zweit oder in kleineren Gruppen bis 10 Personen outdoor und dort in der Regel in der freien Natur statt. Sie sind zwar grundsätzlich auch in der Stadt oder im besiedelten Bereich im urbanen Grün möglich, allerdings ist dort das gewünschte kontemplative Gehen und konzentrierte Gespräch aufgrund der begleitenden Umstände (z.B. Straßenverkehr, Baustellen, Ampeln, Martinshorn) meist nicht möglich. Die freie Natur dagegen bildet nicht nur eine schöne Kulisse, sondern wirkt ihrerseits auf den Prozessverlauf ein. Je abwechslungsreicher und natürlicher der Weg, je mehr Grenz- und Übergangsbereiche zwischen verschiedenen Lebensräumen (z.B. Wald, Wiese, Feldrand, Gewässer) mit weichen und geschwungenen Konturen erlebt werden können, desto reizvoller wird die Landschaft empfunden und desto inspirierender ist sie.
Dass speziell Waldspaziergänge inspirierend wirken, die Suche nach Problemlösungen unterstützen und die Selbstbesinnung fördern ist spätestens seit den in die Geschichtsschreibung eingegangenen Waldspaziergängen des früheren Bundeskanzlers Helmut Kohl mit seinen seinerzeitigen Amtskollegen Mitterand (1983) und Gorbatschow (1990) bekannt. Dass ein Waldspaziergang darüber hinaus noch weit mehr bringt als reine Entspannung, ist medizinisch vielfach bewiesen. Speziell die Kombination von frischer Luft und wechselnder körperlicher Bewegung sowie die physisch-sinnliche Erfahrung und Wahrnehmung z. B. von sattem Grün und Ruhe wirkt sich vielfältig positiv auf Herz, Immunsystem und Psyche aus und trägt damit auch zur Stressbewältigung und Regeneration bei.
Wege, Rundwege, Wegegabelungen, Kreuzungen, Sackgassen, Treppen, steile Anstiege und verschlungene Pfade – sie alle symbolisieren in ganz besonderer Weise auch Aspekte des eigenen Weges. „Geh-Wege“ allein, zu zweit oder in kleinen Gruppen zu gehen oder „Geh-Spräche“ mit anderen Menschen zu führen – die wechselnde Umgebung und der persönliche Austausch unterstützen eine Entscheidungsfindung. Dabei erfordert und fördert jede Wegegabelung und Wegekreuzung eine Richtungs-Entscheidung im Sinne von „Der Weg ist das Ziel“.
Mit dem Weg in die Natur eröffnen sich beim Gehen auch permanent neue Blickwinkel. Einmal führt der Geh-Weg aus dem Schatten in die Sonne, einmal vom dunklen Fichtenwald auf eine helle Lichtung. Einmal richtet sich der Blick auf den bemoosten Waldboden, dann wieder nach oben in die grünen Blätter der Baumkronen. Einmal fixiert der Blick einen markanten Punkt in der Landschaft, dann wandert er einem Bach entlang oder den ziehenden Wolken nach. Da wir Menschen 83 Prozent unserer Umfeldwahrnehmung über die Augen erfassen, dominieren zunächst diese Eindrücke. Ergänzt wird diese visualisierte Art der „Live-Aufführung“ durch weitere Sinneseindrücke, z.B. Vogelstimmen und summende Insekten, duftende Blüten und süße Waldbeeren, wärmende Sonnenstrahlen und kühlen Schatten. All diese vielfältigen Impulse und Kontraste in der Natur ermöglichen entlang eines jeden Weges einen steten Perspektivwechsel und fördern dadurch ganz wesentlich eine umfassende und ganzheitliche Betrachtungsweise.
Das mit Bewegung verbundene Gehen wird zunehmend auch als eigene Methode eingesetzt und z. B. als Format Wald to Talk, Walk & Talk, Coaching im Gehen, Coach2go, Coaching in Bewegung oder Geh-Spräch in unterschiedlichstem Kommunikations-, Beratungs- und Coaching-Kontext genutzt. „Geh-Wege und Geh-Spräche“ sind auch elementarer Bestandteil von Naturcoaching. Hier sind sie eine Metapher dafür, dass Coaching bedeutet, den Weg von A nach B zu suchen. „Geh-Spräche“ finden hier oft bereits beim Erstkontaktgespräch zwischen Coach und Coachee statt, um eine neutrale, ungezwungene Atmosphäre zu haben und ein Gespräch im wahrsten Sinne des Wortes „in Gang“ zu bringen. Vertiefte Ausführungen dazu finden sich in der Methodenbeschreibung „Naturcoaching“.
Gespräche im Gehen haben unabhängig vom eigentlichen Gesprächsergebnis viele positive „Nebenwirkungen“. Trotz Bewegung trägt das Gehen zur mentalen Entschleunigung bei. Zudem fördert die körperliche Bewegung sowohl das körperliche als auch das mentale Wohlbefinden der Teilnehmenden. Beim Miteinander- und Nebeneinander-Gehen findet unabhängig von Hierarchien ein Austausch auf Augenhöhe statt, der das „Wir-Gefühl“ stärkt. Die wechselnde Umgebung generiert immer wieder neue Impulse, stärkt Kreativität und Problemlösungskompetenzen und fördert gleichzeitig einen ungestörten und konzentrierten Austausch. Im Falle von Tandem-Partnern und Kleingruppen stärkt dieser Austausch auch die Teambildung, die Vertrauensbasis und die Gruppenidentität. Unabhängig von den Gesprächsergebnissen werden Geh-Spräche nie als Zeitverschwendung empfunden, sondern als innovatives und inspirierendes Format. Eher unbemerkt trägt dieses Format auch zu einer Nachhaltigkeits-orientierten Sicht der Dinge bei, indem die Kombination aus Bewegung, Abwechslung, Austausch und Naturbezug eine ganzheitliche Betrachtungsweise des eigenen Wegs fördert.