Intakte Natur schafft per se einen Rahmen für Entspannung und Entschleunigung. In besonderer Weise gilt dies für Wälder, die als flächige, hochgewachsene und strukturreiche Ökosysteme zu allen Jahreszeiten ein Gefühl von Schutz und Geborgenheit vermitteln. Verstärkt wird dieses positive Grundgefühl dadurch, dass Wälder zu jeder Jahreszeit ein ausgleichendes Kleinklima haben. Im Vergleich zur freien Landschaft mildern sie im Sommer die Hitze und im Winter Kälte und Wind.
Bei einem ersten Rundblick im Wald zeigen sich unterschiedliche Baumarten, alte und junge Bäume, individuell verschiedene Baumformen, Blätter und Nadeln in verschiedenen Farben, Knospen und Zapfen. Und neben den Bäumen natürlich eine Vielzahl unterschiedlicher Sträucher, Stauden, Farne, Gräser, Moose und Flechten. Je genauer wir schauen, desto mehr entdecken wir auch noch größere oder kleinere Tiere wie ein Reh, einen Eichelhäher, eine Spinne, einen Schmetterling oder eine Waldameise. Aber auch ohne jede vertiefte Artenkenntnis stellt sich beim Betreten des Waldes aufgrund dieser wohltuend vielfältigen, aber gleichzeitig beruhigenden Kulisse meist schon nach kurzer Zeit ein Gefühl des „Herunterkommens“, des Loslassens und der Gelassenheit ein.
Neben all den beschriebenen, optisch wahrgenommenen Eindrücken, Phänomenen und Reizen berührt und sensibilisiert der Wald aber neben unseren Augen auch alle unsere anderen Sinne. Wir spüren den befestigten Waldweg oder den weichen Waldboden unter den Füßen – und hören Vogelstimmen, trommelnde Spechte, zirpende Grillen und summende Insekten. Wir riechen Harz, Waldboden, junge Fichtennadeln und Pilze – und wir spüren die Sonnenstrahlen und den Wind. Wenn wir zusätzlich noch Mund und Hände aktivieren, dann können wir zudem Walderdbeeren, Bärlauch, Sauerklee und Bucheckern schmecken – und Rinde, Wurzeln, Blätter, Moos und Steine fühlen.
Darüber hinaus nehmen wir über Lunge und Haut ganz unbewusst Terpene auf, die als ätherische Öle aus Blättern, Nadeln und Rinde von Bäumen und anderen Waldpflanzen ausgedünstet werden. Auch im Winterhalbjahr, wenn die Laubbäume ihre Blätter abgeworfen haben, dünsten die Nadeln der Fichten, Tannen und Kiefern weiterhin Terpene aus. Diese haben eine vielfältige Wirkung auf den menschlichen Körper: Sie aktivieren unsere Immunzellen, v.a. die natürlichen Killerzellen, und stärken damit unser Immunsystem. Außerdem wirken sie positiv auf unseren Parasympathikus, der das vegetative Nervensystem beruhigt und dem Stress entgegenwirkt, fördern in positiver Weise unsere Grundstimmung und unterstützen die allgemeine Regeneration.
Der Gesamtkomplex aus der Vielfalt und Schönheit von Wäl- dern, aus Sinneseindrücken, unbewussten Empfindungen und aufgenommenen Terpenen erklärt die therapeutische Wirkung des Waldes auf Körper und Seele. Auf dieser Stärkung und Regeneration unserer körperlichen und mentalen Gesundheit basieren auch Erfolg und Beliebtheit des „Waldbadens“, das inzwischen als eine Maßnahme allgemeiner Gesundheitsvorsorge breite Anerkennung findet. Denn bereits ein kurzes Waldbad verbessert Atmung, Puls und Blutdruck, sodass diese Art von Natur-Therapie zunehmend auch gegen Burnout oder Herzkreislauf-Erkrankungen empfohlenwird.
Die hier beschriebene Methode „Mit allen Sinnen“ greift das vielfältige Leben im Ökosystem Wald auf. Gerade als Kontrast zur urbanen und besiedelten Umwelt, die mit all ihren künstlichen Reizen an Lärm, Licht, Abgasen, Glas, Metall, Beton und Asphalt die Mehrzahl der Menschen tagtäglich umgibt und vielfach als „Stress“ empfunden wird, bildet der Wald einen wohltuenden Kontrast. Die auch im Wald in üppiger Vielfalt auf alle unsere Sinne einwirkenden Reize natürlicher Art werden jedoch fast aus- schließlich als wohltuend empfunden. Dies ist mit großer Wahrscheinlichkeit auf unsere Stammesgeschichte als ursprünglich in freier Natur, vor allem in Savannen und lichten Wäldern lebende „Säugetiere“ zurückzuführen.
Das Ziel dieser Übung ist es, das Sinnesbewusstsein zu schärfen, für eine differenzierte Wahrnehmung mit allen Sinnen zu sensibilisieren und dadurch gleichzeitig die Konzentrations- und Fokussierungsfähigkeit stärken. Diese ganzheitliche Art der achtsamen Sinneswahrnehmung fördert eine bewusstere Umfeldwahrnehmung und trägt dadurch auch zu einer Weiterentwicklung des individuellen Nachhaltigkeits-Bewusstseins bei.