Die Outdoor-Übung „Nachhaltiger Wald“ baut auf den drei soge- nannten Dimensionen der Nachhaltigkeit auf. Die Themenfelder „Ökonomie und Wirtschaft“, „Ökologie und Mitwelt“ sowie „Soziales und Gesellschaft“ begleiten zwar den persönlichen Alltag eines jeden Menschen in Beruf, Gesellschaft, Familie und Freizeit in mehr oder weniger ausgeprägter Form. Die persönliche und bewusste Wahrnehmung des permanenten eigenen Nachhaltigkeits-Fußabdrucks ist dagegen oftmals wenig ausgeprägt und auch die Vielzahl der eigenen Handlungsoptionen (Nachhaltigkeits- Handabdruck) ist oftmals nicht präsent.
Zum Erkennen der vielfältigen, oftmals nicht auf den ersten Blick erkennbaren Zusammenhänge zwischen den drei Nachhaltigkeits- Dimensionen ist es hilfreich, einen Perspektivwechsel vorzunehmen und sich in die Position eines Waldes zu versetzen, da in diesem komplexen Ökosystem viele Nachhaltigkeitsmerkmale seitJahrmillionen gelebt werden. Ungenutzte Naturwälder, die vom wachsenden Sämling bis zum zerfallenden Totholz im Rahmen eines „Mosaik-Zyklus“ alle Stadien eines Pflanzenlebens abbilden, sind aufgrund ihres Lebenskreislaufes per se ökonomisch effizient und ökologisch divers. Wälder sind im Gegensatz zu landwirt-schaftlichen Kulturen sehr langlebige Ökosysteme und auch in genutzten Wäldern liegen die Produktionszeiträume für die meisten Baumarten zwischen 80 und 200 Jahren, weshalb Wälder auch als Dauerkultur bezeichnet werden. Diese Langfristigkeit der Kultur erfordert sowohl bei der Planung, bei Naturverjüngung, Saat oder Pflanzung sowie bei Bewirtschaftung und Nutzung ein Langfristdenken. Die Risikominimierung bzw. Risikovermeidung ist in einer Dauerkultur existentiell. Daher geht es in einem nachhaltig bewirtschafteten Wald auch nie um Gewinnmaximierung, sondern um Gewinnoptimierung.
„Nachhaltig bedeutet, Wälder und Waldflächen lokal, national und global in einer Art und Weise zu bewirtschaften und zu nutzen, die ihre biologische Vielfalt, Produktivität, Regenerationsfähigkeit, Vitalität und ihr Potenzial bewahrt, jetzt und in Zukunft relevante ökologische, wirtschaftliche und soziale Funktionen zu erfüllen, ohne dabei anderen Ökosystemen Schaden zuzufügen“ (Definition von Forest Europe 1993 aus der Helsinki-Resolution H1).
Die komplexen Zusammenhänge zwischen den Nachhaltigkeits- Dimensionen werden im Wald in besonderer Weise am Beispiel der Photosynthese deutlich, indem Pflanzen Kohlenstoffdioxid (CO2) binden und Sauerstoff produzieren und damit die Lebensgrundlage für nahezu alle Organismen schaffen. Dieser bioche- mische Prozess ist zwar kein bewusstes Agieren der Pflanzen, hat aber nach menschlichem Verständnis im Ökosystem Wald sowohl ökonomische, ökologische und soziale Auswirkungen. Auch die vielschichtige Struktur, die vielfältigen Kooperationsmodelle, die Biodiversität mit all ihrem Lebensraum– und Artenreichtum so-wie der weitgehend geschlossene Stoffkreislauf im Wald berühren jeweils alle drei Nachhaltigkeitsdimensionen. Was aber ist im Wald konkret ökonomisch, was ist ökologisch, was ist sozial? Wo konkret geht es um Ökonomie und Effizienz, wo sind ökosyste- mare Zusammenhänge besonders deutlich und wo finden sich soziale Aspekte?
Die Multifunktionalität des Waldes spiegelt sich aus Menschen– Sicht in allen Nachhaltigkeitsdimensionen wider, wobei sich diese teilweise überschneiden:
• Die Produktionsfunktion des Waldes sorgt für volkswirtschaftliche und betriebswirtschaftliche Wertschöpfung u.a. durchArbeitsplätze im Cluster Forst und Holz, Rohstoff Holz, neue Holztechnologien, Bioenergie, Sauerstoffproduktion, CO2-Sen- kenfunktion, Humusaufbau, biologische Vielfalt, Wild, Beeren, Kräuter und Pilze (Ökonomie)
- Die Schutzfunktionen finden sich u.a. in CO2-Fixierung, Bo- denbildung, Erosionsschutz, Wasserschutz und Grundwasserbildung, Immissionsschutz, Staubfilter, Temperaturausgleich, Kleinklima und Biodiversität (Ökologie)
- Die gesellschaftlichen und kulturellen Aspekte umfassen u.a. Gesundheit, Erholung, Naturerleben, Naturbeobachtung, Natursport, Naturtourismus, Waldgeschichte, Waldkultur, Entwicklung im ländlichen Raum (Soziales)Aber auch innerhalb des Waldes und seiner Biozönosen lassen sich im Austausch zwischen Arten und Individuen „mit Ökosystem- Brille“ die drei Themenbereiche der Nachhaltigkeit finden:
- Ökonomische Aspekte in den Bereichen Material–Effizienz (Holzaufbau, Knochenaufbau, Pflanzenfasern), Ressourcen–Effizienz (Revierbildung bei Tieren, Vogelzug, Winterruhe, Winterstarre, Winterschlaf, Geophyten) und Kreislaufwirtschaft (Bodenbildung und Humusaufbau)
- Ökologie im Sinne der interspezifischen und intraspezifischen Interaktion zwischen Organismen, in Symbiosen, in Kooperationen, bei evolutionären Prozessen, in der Funktion der ökologischen Nischen und in der Vielfalt der Arten und ihrer genetischen Vielfalt
- Als sozial können aus menschlicher Sicht der Schutzschirm der alten Bäume für die jungen Bäume, der Beitrag der jungen Bäume zur Förderung des Kleinklimas und des Humusaufbaus für das Gesamtkollektiv der Bäume, die Fürsorge von Elterntieren gegenüber ihren Jungen, die artübergreifende Warnfunktion rufender Tiere wie Eichelhäher oder Amsel sowie die Schädlingswarn–Kommunikation zwischen den Pflanzen mittels Terpenen interpretiert werden.Auch die evolutionären Prozesse Anpassung (Variation), Aussterben (Selektion) und Weiterentwicklung (Innovation) tangieren die Nachhaltigkeitsaspekte. Anpassungen sind z.B. oft mit Effizienz (Ökonomie) verbunden. Aussterben mit Dynamik im Bereich der ökologischen Nischen (Ökologie). Und Weiterentwicklung beginnt bei Primaten und Singvögeln oft mit sozialem Lernen und Verhaltensänderungen, von denen nach und nach viele Individuenprofitieren können (Soziales).
Zwischen den drei Dimensionen der Nachhaltigkeit bestehen zahlreiche Querverbindungen, weshalb Nachhaltigkeit und nach- haltige Entwicklung sich auch erst durch ganzheitliches Denken und Handeln erschließen und realisieren lassen. Gerade das Zusammenführen und „Verschneiden“ der unterschiedlichen „Nachhaltigkeitsbrillen“ trägt in der Regel zu optimalen Lösungen komplexer Fragestellungen bei. Daher ist ganzheitliches Denken und Handeln auch ein wichtiger Baustein für erfolgreiches Qualitätsmanagement.
Ziel der Übung „Nachhaltiger Wald“ ist es, sich die drei Dimensionen der Nachhaltigkeit an konkreten Beispielen im komplexen Ökosystem Wald bewusst zu machen, wo Nachhaltigkeit evolutionär bewährt seit Jahrmillionen systemimmanent praktiziert wird. In Ergänzung dazu werden die Querverbindungen zwischen den drei Nachhaltigkeitsdimensionen gesucht und analysiert, um den Gesamtkomplex Nachhaltigkeit besser durchdringen zu können. Der Perspektivwechsel zunächst in den Wald und dann zurück in den eigenen Alltag bringt neue Aspekte und Impulse und hilft dabei, sich unvorbelasteter und offener mit allen Themen von Nachhaltigkeitsrelevanz und damit auch mit dem eigenen Nachhaltigkeits-Fußabdruck (Auswirkungen passiv) und dem möglichen Nachhaltigkeits-Handabdruck (Maßnahmen aktiv) zu befassen.