Stellen Sie sich eine Führungsperson vor, die an der Strategie Ihrer Organisation arbeitet. Wahrscheinlich sehen Sie eine Managerin vor sich, die im obersten Stock eines repräsentativen Hochhauses über strategischen Plänen brütet. Oder Sie sehen eine Strategieretraite in einem exklusiven Hotel in den Alpen, in welchem die Führungsebene jährlich zum gemeinsamen Strategieworkshop zusammenkommt.
Der renommierte Managementprofessor Henry Mintzberg stellte in seinen Vorlesungen jeweils die gleiche Frage, nur um seine Zuhörerinnen vom Gegenteil zu überzeugen. Nach seiner Sicht sitzt ein erfolgreicher Manager nicht im Büro oder Workshop, sondern hat in der Tat viel mehr mit einem Töpfer gemeinsam, als wir denken würden. Für Mintzberg ist Strategiearbeit wie Töpfern. Mit jeder Umdrehung der Töpferscheibe wird die Keramik konkreter, während der Töpfer im Einklang mit seinen Gedanken und Händen kontinuierlich an deren Gestalt weiterformt. Er fühlt wie seine Gedanken sich im Ton materialisieren und kann gegebenenfalls darauf reagieren und seine Vorgehensweise anpassen. Entsprechend verschmelzen die kognitive und die handwerkliche Ebene miteinander.
Mit der Metapher des Töpfers beschreibt Mintzberg, wie Kopf und Hand, oder auch kognitive und operative Aktivitäten untrennbar miteinander verbunden sind und sich gegenseitig befeuern. Heutige Organisationen zeichnen sich jedoch gerade dadurch aus, dass sie die Strategieformulierung strikt von der Strategieimplementierung trennen. Manche Managerin brüstet sich damit, mit dem täglichen Geschäft nicht mehr viel zu tun zu haben und sich ausschließlich auf die Weiterentwicklung der Organisation zu fokussieren. Die eine Gruppe an Akteuren sitzt in einem Raum und denkt sich Strategien aus, während die Gruppe im nächsten Raum diese Ideen umzusetzen versucht. Dass durch diese Trennung effiziente Zusammenarbeit erschwert wird, nimmt dieses organisationale Setup in Kauf. Dabei bräuchten Organisationen gerade in der heutigen dynamischen Zeit höchsteffiziente Feedbackschlaufen. Diese sind umso wichtiger im Nachhaltigkeitskontext, welcher durch unzählige Relationen und Rückkopplungseffekte charakterisiert wird. Wie kann man also abstrakte strategische Kontexte im Jetzt für diverse organisationale Akteure verhandelbar machen?
Strategy Prototyping verschränkt die diskursiven und materiellen Praktiken der Strategiearbeit miteinander. Es wird nicht nur auf kognitiver Ebene diskutiert, sondern auch auf materieller Ebene prototypisch umgesetzt, um mehr Erkenntnisse zum ausgewähl- ten Kontext zu generieren. Dabei zoomt Strategy Prototyping hinein in die einzelnen Aktivitäten, nur um im Anschluss wieder hinauszuzoomen und deren Auswirkungen auf der systemischen Ebene zu analysieren. Im Rahmen dieses Zooming in/out werden mögliche Zukünfte im Jetzt prototypisch inszeniert. Dies kann als Text, Foliensatz, Pilotprojekt oder materiellem Artefakt geschehen. Ähnlich einem Architekturmodell werden zukünftige Zu- stände sicht- und erlebbar. Am wichtigsten ist jedoch, dass solche Prototypen weitere Stakeholder miteinbeziehen, denen möglicherweise das entsprechende Expertenwissen fehlt, die jedoch durchaus direkt von den Ideen betroffen sein können. Dies ist zentral für eine nachhaltige Strategiearbeit, welche den Anspruch hat, weit mehr Akteure einzubinden, als dies klassischerweise der Fall ist. Hier ermöglicht Strategy Prototyping die Öffnung des Prozesses einer nachthaltige Strategieentwicklung, um eine regenerative Unternehmung zu schaffen.
Obwohl Strategy Prototyping konkrete Outputs in der Form von Prototypen generiert, ist es wichtig, vor allem auch den prozessualen Character der Methode hervorzuheben. Durch Strategy Prototyping kristallisieren sich materielle Artefakte in der Form von Prototypen. Dies ist wichtig, da nur eine konkrete Setzung als Orientierungs- und Anknüpfungspunkt für weitere Akteure dienen kann. Gleichzeitig ist diese Stabilisierung immer nur von kurzer Dauer, da ein Prototyp sich auch wieder verflüssigen muss. Das heißt, er passt sich an die Resonanz an, die er generiert hat und wird mit den geschaffenen Erkenntnissen angereichert. Diese Dynamik ermöglicht es, Entscheidungen unter Unsicherheit zu treffen, da sie nicht final sein müssen. Sie stellt aber auch sicher, dass der Prototyp relevant bleibt und nicht plötzlich überholt wird.
Die kristallisierenden und verflüssigenden Bewegungen gezielt einzusetzen, ist der Kern des Strategy Prototypings. Erfolgreich angewendet, macht es komplexe Nachhaltigkeitsprobleme im Jetzt verhandelbar und befähigt dadurch verschiedenste Stakeholder zum gemeinsamen Sensemaking.