Ich bin der Meinung, wir müssen die Frage wirklich noch einmal beantworten! Wenn wir sie leben und an den richtigen Stellen einsetzen, ist Agilität ist etwas Wunderbares. Leider werden die Begriffe „Agilität“ und „agile Arbeitsweise“ heutzutage inflationär gebraucht und kaum noch jemand realisiert was es wirklich ist.
Tausende von Youtube Videos, Webseiten und Beratern erklären und predigen agile Methoden, agiles Projektmanagement, agile Teams und die Lieblingsmethoden wie Scrum, Design Thinking, Lean Startup und viele mehr. Tatsächlich wird fast nie beschrieben was Agilität wirklich ist, oder was der Kern von agilem arbeiten wirklich ist.
Was bedeutet agiles arbeiten?
Wenn wir Definitionen lesen wie: „Das Wort Agilität steht für eine flexible, proaktive und initiative Handlungsweise und eben darauf beruht das Konzept der agilen Arbeitsmethoden: Anstatt an veralteten Prozessen festzuhalten, geht es um hohe Flexibilität, schnelle Handlungsfähigkeit und die Bereitschaft, innovativ zu denken.“ dann ist das zwar richtig, aber auch diese Definition beschreibt im Grunde nur die Folge von agil arbeiten. Im Kern meint Agilität aber primär eine bestimmte Eigenschaft:
Wir reden nur über die Folgen von agil arbeiten
Schauen wir zum Beispiel von außen auf ein Team, das ein Innovationsprojekt mit Design Thinking durchführt, dann sehen wir folgendes:
- Es gibt keinen linearen Prozess, sondern ein iteratives, eher hüpfendes arbeiten zwischen verschiedenen Arbeitspaketen
- Das Team handelt sehr flexibel und trifft viele eher kleine Entscheidungen
- Die Teilnehmer vermeiden Verschwendungen, sind gleichzeitig sehr neugierig und experimentieren
- Das Team passt sich autonom veränderten Rahmenbedingungen an
- Irgendwie haben alle immer gute Laune, egal ob eine Ideen funktioniert oder nicht
- Die Projektperformance ist höher als in klassischen Projekten
- und vieles mehr
Tatsächlich könnten wir die Liste unserer Beobachtungen eines agilen Teams noch weiter ausführen und kämen zu Erkenntnissen wie: agiles arbeiten funktioniert, agile Teams arbeiten sehr effizient und wir glauben zu wissen, was agiles arbeiten bedeutet – leider weit gefehlt – wie sehen hier nur die Auswirkungen wenn Menschen sich agil verhalten und agiles arbeiten leben.
Agiles arbeiten – das Geheimnis
Der wesentliche und klare Kern von Agilität bzw. von agil sein sind 3 einfache Dinge:
- immer fokussiert sein
- immer positiv sein
- immer schnell sein
Um mehr geht es nicht! In dem Moment, wo Teilnehmer eines Projekts so sind, stellen sich fast schon automatisch alle genannten positiven Folgen und Wirkungen ein.
Übertragen wir diesen Kern von agilem arbeiten, heißt das konkret für unsere Arbeitsweise in Projekten:
- Egal zu welcher Tages und Nachtzeit du einen Projektteilnehmer ansprichst, er ist immer fokussiert. Er kennt sowohl das Projektziel als auch sein Tagesziel konkret, klar und ist darüber reflektiert.
- Egal ob eine Idee funktioniert oder nicht, die Teilnehmer bleiben positiv und in der guten Laune. Wenn eine Idee funktioniert, freuen wir uns, weil sie eben funktioniert – funktioniert die Idee nicht, freuen wir uns, dass wir dadurch etwas gelernt haben und unsere Idee nun besser machen können.
- Egal wie die Umstände gerade sind, wir bleiben schnell bzw. kontinuierlich in unserer Arbeit. Das führt beim agilen arbeiten dazu, das wir Hindernisse, die sich uns in den Weg stellen, ausweichen und nicht vor ihnen verharren. Das verharren vor Hindernissen führt in fast allen Fällen zu einem Abriss des Momentum und damit zu großem Zusatzaufwand wieder in einen effizienten Flow zurückzukehren.
Wie können wir agiles arbeiten unterstützen?
An dieser Stelle könnte ich nun praktisch endlos über agile Arbeitsweise schreiben, da es einfach ein großes Themenfeld ist. Ich möchte jedoch nur kurz auf sehr etablierte Arbeitsprinzipien und Methoden eingehen, die wirklich helfen agiles arbeiten schneller zu verinnerlichen.
Timeboxing mit kurzen Reflexionspausen
Timeboxing ist ursprünglich eine Zeitmanagement-Technik, bei der Arbeitsaufgaben in festgelegten Zeiteinheiten, sogenannten „Boxen“, organisiert werden. Jede Aufgabe wird einem bestimmten Zeitrahmen zugeordnet, innerhalb dessen sie erledigt werden muss. Die Idee dahinter ist es, die Produktivität zu steigern, indem man klare Zeitlimits setzt und sich auf die Aufgabe konzentriert, ohne sich ablenken zu lassen.
Der Prozess des Timeboxings ist simpel:
Schritt 1: Zuerst identifiziert man die nächste zu erledigende Aufgabe und synchronisiert diese im Team.
Schritt 2: Es wird ein individuelles Zeitfenster festgelegt. (Typischerweise zwischen 15 Minuten bis 1 Stunde)
Schritt 3: Das Team arbeitet an der Aufgabe, bis die Zeit abgelaufen ist. Es ist entscheidend, sich während dieser Zeit vollständig auf die Aufgabe zu konzentrieren und Störungen zu minimieren.
Schritt 4: Wenn die Zeit abgelaufen ist, wird die Aufgabe unterbrochen, unabhängig davon, ob sie vollständig erledigt ist, und das Team startet eine kurze Reflexionspause – maximal 3 Minuten. In dieser Pause reflektieret das Team über die Arbeitsergebnisse und Wahrnehmung der Arbeit der abgelaufenen Timebox. Die entscheidende Frage dabei: „Wie geht es uns mit den Ergebnissen und dem Arbeitspaket der Timebox?“
Typischerweise gibt es hier nur 3 wesentliche Reflexionen bzw. Entscheidungen:
- Wir sind mit den Ergebnissen top zufrieden und es fühlt sich „fertig“ an – Ableitung: Wir gehen zum nächsten Arbeitspaket über mit einer neuen Timebox.
- Wir sind mit den Ergebnissen top zufrieden und es fühlt sich „unfertig“ an – Ableitung: Wir bleiben im aktuellen Arbeitspaket und fügen eine weitere Timebox an.
- Wir sind mit den Ergebnissen unzufrieden – Ableitung: Wir gehen ein Stück zurück und nehmen einen neuen Anlauf mit einem anderen/früheren Arbeitspaket, veränderten Parameter und mit einer neuen Timebox. Die Frage ist hier: Wohin müssen wir zurück und welche Parameter müssen wir ändern um in einem zweiten Anlauf erfolgreicher zu sein?
Timeboxing bietet mehrere Vorteile. Es fördert die Effizienz, da man sich bewusst auf Aufgaben für bestimmte Zeiträume konzentriert. Es steigert die Produktivität, da man sich nicht ablenken lässt. Zudem hilft es, fokussiert, positiv und schnell zu bleiben.
Es gibt verschiedene Tools und Techniken, die beim Timeboxing helfen können. Zum Beispiel kann man einen Timer verwenden, um die Zeit zu überwachen, oder spezielle Apps und Software, um Aufgaben und Zeitlimits zu verwalten.
Hindernisseffekte identifizieren und gezielt überwinden
Meiner Erfahrung nach scheitert agiles arbeiten oder Agilität nicht am fehlenden Wissen, sondern viel eher an Hindernisseffekten und Dysfunktionalitäten im Team. Damit Innovation und agiles arbeiten möglich wird, haben wir schon in unserem Buch „Das große Handbuch Innovation“ relevante Hinderniseffekte thematisiert und aufgezeigt, welche Methoden gezielt welche Hinderniseffekte lindern oder eliminieren können. Hier eine Liste von Hindernisseffekten die Agilität und agiles arbeiten verhindern:
- Störender Gruppenclown
- Fehlende Wertschätzung
- Dysfunktionaler Schweiger
- Konkurrenzdenken und Angst vor Machtverlust
- Angst vor Kritik und Zurückweisung
- Fehlende gemeinsame Ausrichtung
- Zu schwaches Vertrauen im Team
- Ideenbunkerei und Geheimniskrämerei
- Zu viele Rationalisierer
Das agile Manifest
Zudem sei an dieser Stelle auch das agile Manifest erwähnt, welches seine Bedeutung als Leitlinie weit über die Softwareentwicklung hinaus ausgebaut hat. Das agile Manifest hat die Art und Weise, wie Software entwickelt und wie innoviert wird, nachhaltig beeinflusst und ist heute eine der Grundlagen für agile Methoden wie Scrum, Design Thinking und Kanban. Eine Besinnung auf diese Grundlage kann für eine agile Arbeitsweise unglaublich förderlich sein.
Das agile Manifest ist eine Erklärung der Prinzipien und Werte, die die Grundlage agiler Softwareentwicklungsmethoden bilden. Es wurde 2001 von einer Gruppe von Softwareentwicklern erstellt, die als „Agile Alliance“ bekannt sind. Das Manifest enthält vier Grundwerte und zwölf Prinzipien, die helfen sollen, den Fokus auf effektive und flexible Softwareentwicklung zu legen. Die vier Grundwerte des agilen Manifests lauten wie folgt:
- Individuen und Interaktionen mehr als Prozesse und Werkzeuge: Agile Methoden legen großen Wert auf die Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Teammitgliedern. Die Interaktion und Zusammenarbeit der Teammitglieder hat Vorrang vor starren Prozessen und Werkzeugen.
- Funktionierende Software mehr als umfassende Dokumentation: Das Hauptziel agiler Methoden ist es, qualitativ hochwertige Software zu liefern. Während Dokumentation wichtig ist, wird der Schwerpunkt darauf gelegt, funktionierende Software zu erstellen und kontinuierlich zu verbessern.
- Zusammenarbeit mit dem Kunden mehr als Vertragsverhandlung: Agile Methoden fördern die enge Zusammenarbeit zwischen den Entwicklern und den Kunden. Durch eine intensive Zusammenarbeit und Feedback-Schleifen wird sichergestellt, dass die entwickelte Software den Anforderungen und Bedürfnissen des Kunden entspricht.
- Reagieren auf Veränderung mehr als das Befolgen eines Plans: Agile Methoden akzeptieren, dass sich Anforderungen und Umstände im Laufe des Projekts ändern können. Es wird Wert darauf gelegt, flexibel zu sein und auf Änderungen zu reagieren, um den Kundenwert zu maximieren.
Die zwölf Prinzipien des agilen Manifests sind eine Erweiterung der Grundwerte und bieten konkretere Anleitungen für agile Softwareentwicklungsteams. Sie betonen beispielsweise die Bedeutung von regelmäßiger Lieferung von Software, kontinuierlichem Feedback, selbstorganisierten Teams und regelmäßigen Anpassungen des Vorgehens.
Erfolgsgeschichten über agiles arbeiten in der Praxis
Zu guter Letzt ist sicher noch die Frage gestattet „Finden sich denn auch wirkliche Erfolgsgeschichten, die die Wirksamkeit von agilem arbeiten und Agilität belegen?“ Die Antwort lautet: Ja! Hier nur einige Beispiele:
- Spotify: Spotify hat den sogenannten „Spotify-Modell“ eingeführt, eine agile Arbeitsmethode, die auf kleinen, autonomen und funktionsübergreifenden Teams basiert. Dieses Modell hat es Spotify ermöglicht, sich schnell an Marktveränderungen anzupassen und innovative Produkte zu entwickeln.
- Zalando: Der Online-Modehändler Zalando hat eine agile Transformation durchgeführt, um seine Prozesse zu verbessern und seine Marktführerschaft zu stärken. Durch die Einführung von agilen Methoden konnte Zalando die Time-to-Market verkürzen und die Kundenzufriedenheit steigern.
- ING Bank: Die ING Bank hat sich einer agilen Transformation unterzogen, um ihre Arbeitsweise zu verbessern und effizienter zu werden. Sie hat eine Methode namens „Agile at Scale“ eingeführt, die darauf abzielt, agile Prinzipien auf das gesamte Unternehmen anzuwenden. Dadurch konnte die Bank ihre Innovationsgeschwindigkeit erhöhen und ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern.
- Amazon: Amazon ist bekannt für seine agile Arbeitsweise und die schnelle Einführung neuer Produkte und Services. Das Unternehmen setzt auf funktionsübergreifende Teams und kurze Feedbackschleifen, um schnell auf Kundenbedürfnisse reagieren zu können. Diese agile Herangehensweise hat Amazon geholfen, zum weltweit größten Online-Händler zu werden.
- LEGO: Die LEGO Gruppe hat eine agile Transformation durchgeführt, um ihre Produktentwicklung zu verbessern und innovativer zu werden. Durch den Einsatz von agilen Methoden konnte LEGO die Entwicklungszeit neuer Produkte verkürzen und eine höhere Kundenzufriedenheit erzielen.
- Netflix: Netflix hat seine Geschäftsstrategie agil gestaltet und setzt auf kontinuierliche Innovation. Das Unternehmen verwendet agile Methoden wie Scrum und Test-Driven Development, um schnell neue Funktionen und Inhalte zu entwickeln. Diese Vorgehensweise hat Netflix geholfen, sich als einer der führenden Anbieter von Streaming-Diensten zu etablieren.
- Airbnb: Airbnb hat seine Plattform mithilfe agiler Methoden entwickelt und kontinuierlich verbessert. Das Unternehmen nutzt agile Prinzipien wie iterative Entwicklung und regelmäßiges Nutzerfeedback, um seine Plattform an die Bedürfnisse der Benutzer anzupassen. Dadurch konnte Airbnb sein Angebot erweitern und eine starke Marktposition erreichen.
- Google: Google hat agile Arbeitsweisen wie „Sprint“ und „Design Thinking“ in seine Produktentwicklung integriert. Das Unternehmen fördert eine kollaborative und experimentelle Arbeitskultur, in der schnelle Iterationen und schnelles Lernen im Vordergrund stehen. Durch diese agile Vorgehensweise konnte Google innovative Produkte wie Gmail, Google Maps und Google Drive entwickeln.
- Adobe: Adobe hat sich in den letzten Jahren einer agilen Transformation unterzogen, um seine Produktentwicklung zu beschleunigen und effizienter zu gestalten. Das Unternehmen hat agile Methoden wie Scrum und Kanban eingeführt und cross-funktionale Teams gebildet. Durch diese Maßnahmen konnte Adobe die Markteinführungszeit verkürzen und neue Produkte schneller auf den Markt bringen.
- Toyota: Toyota ist bekannt für sein agiles Produktionsmodell, das als „Toyota-Produktionssystem“ bekannt ist. Das Unternehmen hat agile Prinzipien wie kontinuierliche Verbesserung, Just-in-Time-Produktion und effektive Teamarbeit in seine Fertigungsprozesse integriert. Dadurch konnte Toyota seine Produktivität steigern und hohe Qualitätsstandards erreichen.
Diese Beispiele verdeutlichen meiner Meinung nach, wie Unternehmen durch die Einführung agiler Arbeitsweisen ihre Reaktionsfähigkeit, Innovationskraft und Kundenzufriedenheit stark steigern können.
„Agilität und agiles arbeiten macht am meisten Sinn und hat die größte Wirkung, wenn wir neue Dinge erschaffen!“ Benno van Aerssen