KI-Tools, allen voran ChatGPT, sind eines der größten Themen unserer Zeit. Es gibt kaum noch einen Bereich, in dem dieses mächtige Tool nicht irgendeine Art Rolle spielt. Auch uns hat hier die Neugier gepackt und wir haben schon früh begonnen, mit ChatGPT herumzuexperimentieren.
Mein Kollege Christian hat seine Erfahrungen mit dem Tool bereits in unserem Innovation Wiki festgehalten. Auch ich möchte heute ein wenig von meinen Erfahrungen mit diesem Tool berichten.
Mein persönlicher Leidenschaftsbereich ist die Kreativität. Insbesondere die Themen Inspiration und Ideenfindung faszinieren mich, daher war die Frage “Wie könnte ich ChatGPT in der Ideenfindung sinnvoll einsetzen?” recht schnell präsent. In seinem Artikel hatte Christian darüber berichtet, inwiefern ChatGPT konkret in Verbindung mit Methoden unterstützen kann, wie z.B. der Analogiemethode. Es ist wirklich faszinierend, welche Bandbreite an Ideen das Tool in diesem Zusammenhang bieten kann.
Da ich in meinem beruflichen Kontext aber auch immer wieder mit Teams zusammenarbeite, die noch nicht so viel Erfahrung haben, hatte ich mich gefragt, inwiefern ChatGPT generell hilfreich sein könnte, ganz losgelöst von Methoden- und Toolwissen. Ich fragte mich, ob das Tool flexibel auf verschiedenen Ebenen sinnvoll eingesetzt werden kann und bin auf spannende Möglichkeiten gestoßen, die ich gerne teilen möchte.
Möglichkeiten von ChatGPT in (nicht-)interdisziplinären Teams
Wenn man sich mit dem Finden neuer Ideen befasst, landet man recht schnell bei einem Buzzword: interdisziplinär. Design Thinking zum Beispiel, der bekannteste und wichtigste Ansatz im nutzerzentrierten Innovieren, sieht vor, dass ein Team aus möglichst vielen und unterschiedlichen Disziplinen zusammenarbeitet. Durch die verschiedenen Hintergründe und Erfahrungen der einzelnen Teammitglieder erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass das zu lösende Problem im 360° Modus und auf all seinen Ebenen betrachtet wird – eine wichtige Grundlage für seine Lösung!
Wenn es dann darum geht, neue Ideen zur Lösung des Problems zu hirnen, so kann das interdisziplinäre Team aus dem Rundum-Blick heraus sehr schnell, sehr viele völlig unterschiedlichen Ideen zusammentragen. Allein die Menge der daraus resultierenden Ideen, plus die Kombination der einzelnen Sichtweisen, lässt die Erfolgswahrscheinlichkeit der späteren Innovation deutlich steigen. Ein interdisziplinäres Team ist beim Innovieren also von zentraler Bedeutung.
Das reale Leben sieht aber ein wenig anders aus, sodass der Idealzustand eines bunt gemischten Teams meistens nur Theorie bleibt. Viele Unternehmen haben schlichtweg nicht die Möglichkeit, ein interdisziplinäres Team zusammenzustellen. Das Unternehmen ist entweder zu klein, um eine Vielzahl an Fachrichtungen zu bedienen, es mangelt generell an Ressourcen und externe Expertise einzukaufen ist einfach nicht drin. Doch an genau an dieser Stelle kann ChatGPT unterstützen. Bis zu einem gewissen Grad kann das Tool den Blickwinkel einer Person mit einem speziellen Hintergrund simulieren.
Die von ChatGPT bereitgestellten Informationen können vielfältig genutzt werden. Ein Team könnte prüfen, ob das Ausgangsproblem schon unter diesen Gesichtspunkten analysiert worden ist und daraus neue Erkenntnisse ziehen. Die aufgeworfenen Themengebiete könnten aber auch als Korridore für weitere Ideenfindungsrunden dienen und somit die Teammitglieder in neue Denkräume versetzen. Natürlich kann die bereitgestellte Information auch von ChatGPT selbst weiter vertieft werden, um somit zusätzliche Blickwinkel oder erste Gedanken in Richtung Ideenbewertung zu generieren.
An dieser Stelle bietet es sich ebenfalls an, den vom ChatGPT bereitgestellten Inhalt dazu zu nutzen, die passenden Methoden gezielt abzuleiten. So kann zum Beispiel ein Teilaspekt eines von ChatGPT simulierten Blickwinkels mithilfe der 6-Hüte-Methode betrachtet werden.
Die (aktuellen) Grenzen von ChatGPT
Die Möglichkeiten, die von KI bereitgestellten Informationen insbesondere in der Ideenfindung zu nutzen, sind äußerst vielfältig. Allerdings hat KI natürlich gewisse Grenzen, die in dieser Phase des Innovierens nicht unerheblich sind. Ein zentraler Aspekt sind die persönlichen Erfahrungen eines jeden Menschen. Unsere persönlichen Erfahrungen verschmelzen mit unserem fachlichen Wissen und lassen uns somit Sichtweisen einnehmen, die (bislang) keine KI abbilden kann. Zudem hat jeder von uns ein Wertesystem, das in unseren Ansichten und Denkräumen zusätzlich eine große Rolle spielt.
Von entscheidender Bedeutung in diesem Zusammenhang ist jedoch der zwischenmenschliche Austausch. Alle seine Eindrücke, Gedanken und Ideen zu kommunizieren und diese somit im Team weiterzuentwickeln ist der Schlüssel für bahnbrechende Ideen. David Kelley (Wegbereiter für den Design Thinking Ansatz) spricht in diesem Zusammenhang von „Wilde Ideen fördern“ (Encouring wild ideas) und „Auf den Ideen der anderen aufbauen“ (Building on the ideas of others). Selbst wenn man mit ChatGPT in eine Art Gespräch treten kann, wird sich die Dynamik, die in einer Gruppendiskussion entsteht, niemals mit KI abbilden lassen.
Die von Kelley etablierten Grundsätze funktionieren zudem nur (wirklich gut) in einem physisch zusammensitzenden Teams. Einige von uns kennen vielleicht solche Situationen: jemand erzählt von einer Idee, einem selbst schießt sofort ein neuer Gedanke dazu in den Kopf, man hat ihn aber nicht griffig, kann daher nur Teile davon kommunizieren. Aber ein Kollege, der schon seit Jahren mit einem zusammenarbeitet versteht den Gedanken, verinnerlicht diesen, entwickelt ihn direkt weiter und formuliert dann einen vollständigen Gedanken, der schon stark nach einer ausformulierten Idee klingt.
Diese Art Austausch funktioniert aufgrund der zwischenmenschlichen Dynamiken. Insbesondere Menschen, die schon lange zusammenarbeiten, haben eine Empathie füreinander entwickelt, man versteht sich “ohne viel Worte”. Auch die non-verbale Kommunikation spielt hier eine große Rolle. Unsere Körpersprache sagt unglaublich viel darüber aus, wie wir zu etwas stehen.
Fazit – ChatGPT ist eine Stütze, kein Ersatz
Unter all diesen Gesichtspunkten wird denk ich klar – ChatGPT kann (aktuell) lediglich als Unterstützung dienen und keinesfalls ein Teammitglied vollständig ersetzen. Daher mein Fazit und persönliche Meinung zu dem Thema:
- KI-Tools wie ChatGPT kann die entscheidende Vogelperspektive auf ein individuelles Problem nicht einnehmen
- Es kann nicht in den persönlichen (und non-verbalen) Austausch treten und ersetzt nicht persönliche Werte und Erfahrungen, die im Entwickeln neuer Ideen sehr wichtig sind
- Zwischenmenschliche Dynamiken wie Empathie und kreativ wilder Austausch lassen sich durch ChatGPT nicht herstellen
- Das Tool kann aber durchaus blinde Flecken aufdecken, da es eine viel größere Menge an Daten berücksichtigen und neu kombinieren kann, auf die wir so nie kommen würden
- Es ist eine super Inspiration für neue Denkräume und Möglichkeiten
- Wer im Unternehmen Schwierigkeiten hat, ein interdisziplinäres Team auf die Beine zu stellen, hat mit ChatGPT eine super Hilfe an der Hand
- Es lohnt sich, die vielfältigen Möglichkeiten von ChatGPT selbst zu erforschen und auszuprobieren